Es war ein weiter Weg, bis Iwanow zu solcher Geisteshaltung fand. In Leningrad geboren, ist er während der Belagerung - die eine Million Menschen das Leben kostete - zwischen Leichenbergen aufgewachsen. 1944, er war sechzehn, meldete er sich zur Armee, um seinen Haß gegen die Deutschen ausleben zu können. Er wurde aber nur ins Musikcorps eingereiht und mußte wieder Leichen bestatten.
Im April, zwei Tage nach der deutschen Kapitulation, betrat er das zerstörte Königsberg - wieder Hunger und wieder Leichen. Mit seinen siebzehn Jahren wurde er noch einmal in die Schule gesteckt, in die Burgschule in der Lehndorff Straße. Den Eingang der Schule zierten vier Büsten. Eines Tages befahl ein russischer Oberst, diesen die Köpfe abzuschlagen - auch Jurij Iwanow war mit Freude dabei. Erst später erfuhr er zu seinem Kummer, daß es sich da um große Geister gehandelt hatte: Kopernikus, Herder, Kant und Corinth. Und sehr viel später sagte er einmal zu mir: "Kant gehört nicht euch, Kant gehört auch nicht uns, Kant gehört der Menschheit".
Bis er zu dieser Einsicht kam, ist Jurij Iwanow viele Jahre zur See gefahren, wurde Schriftsteller und kehrte dann zurück nach Königsberg, das ihm zur Heimat geworden war. Sein erstes Buch, "Von Königsberg nach Kaliningrad", ist mit viel Liebe, Phantasie und Idealismus geschrieben. Jeder, der sich darüber freut, daß in Königsberg die Luisen Kirche und der Dohna Turm noch stehen und daß der eingeebnete deutsche Friedhof ein Denkmal erhalten hat, der sollte mit Dankbarkeit an Jurij Iwanow denken.