BURGSCHULGEMEINSCHAFT KÖNIGSBERG (Pr) E.V. Dietrich Brzozowski am 26.Mai 2002 im Museum STADT KÖNIGSBERG in Duisburg Wie war das doch mit Preußen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste, liebe Freunde
und Mitglieder der Burgschulgemeinschaft Königsberg (Pr) e.V.
Ich möchte meinen kurzen Vortrag mit “Wie war das doch mit Preußen“ überschreiben. Das Preußenjahr liegt zwar 5 Monate zurück, aber ich denke, Preußen ist immer noch aktuell, besonders bei uns Königsbergern, und wird auch immer aktuell bleiben. Zunächst möchte ich Sie aber alle zu unserem letzten Beisammensein
herzlich begrüßen. Natürlich ist heute die Stimmung etwas
nachdenklicher - vielleicht sogar etwas trauriger - als sonst, weil es
eben die letzte Gemeinsamkeit unserer Gemeinschaft ist, zu der wir hier
zusarnmengekommen sind.
Ich komme noch einmal zum Anfang meiner Begrüßung zurück und möchte auf den Namen unserer Gemeinschaft hinweisen, nämlich auf die “Burgschulgemeinschaft Königsberg (Pr) e.V.“ Wohl bedacht haben wohl die Gründer dieser Gemeinschaft das “Königsberg
(Pr)“ in unserem Namen manifestiert, um ganz klar zu sagen, daß es
eine preußische Gemeinschaft ist. Und das sicher nicht nur, weil
unsere Schule in einem Königsberg stand. Wir sind eben nicht irgend
eine der vielen Königsberg heißenden Städte, die es damals
in Deutschland gab und auch heute noch gibt. Nein - wir waren das preußische
Königsberg - die Hauptstadt Ostpreußens, das Preußen den
Namen gegeben hat und die Krönungsstadt Preußens, in der nicht
nur regiert und Politik gemacht wurde, sondern auch Dauerhaftes erdacht,
geglaubt und gelebt wurde, was heute noch Bestand hat und noch Grundstock
des Denkens vieler Menschen ist und bei noch mehr Menschen sein sollte.
Wie steht es denn mit uns selbst? Wir sind zwar in gewisser Weise stolz auf das “in Preußen“, aber
viel mehr Gedanken verschwenden wir - jedenfalls sehr viele von uns - nicht
an die Tugenden, die mit diesem Namen verbunden sind. Wer nimmt es schon
ernst, wenn zaghaft darauf hingewiesen wird, daß man vielleicht,
wenn man schon stolz auf diese oder jene preußische Eigenschaft ist,
sie auch selbst nachleben könnte? Wohl gemerkt, ich spreche jetzt
nur von denen, die die preußische Herkunft voller Stolz auf sich
beziehen, aber es nach außen gut verheimlichen; es ist ja auch nicht
ganz einfach!
Nach der schlimmen Erniedrigung durch Napoleon hatte Friedrich-Wilhelm III. gesagt: “Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen bzw. an materiellen Dingen verloren hat.“ Ich meine, das ist eine verniinftigere Einstellung als z.B. die Feststellung noch vor 5 Jahren von linken Pädagogen im Rahmen von Schulreformplanungen in Heidelberg, daß Wissen und Lernen natürliche Feinde sind. Aber vielleicht interpretiere ich das auch nur falsch. Ferner war der preußische Staatsgedanke übernational. Nur deshalb war es zu der Zeit auch möglich, daß z.B. Immanuel Kants Großvater Gerichtsdolmetscher für die litauische Sprache in Memel war, oder Gruppen von Flüchtlingen aus Böhmen von Friedrich dem Großen nicht zerstreut sondern gemeinschaftlich angesiedelt wurden, um ihre tschechische Sprache und die ihnen eigene Konfession zu pflegen. Ein evangelischer Pfarrer predigte in Schlesien jeden Sonntag in deutscher und polnischer Sprache, um auch Nichtdeutschen einen Gottesdienst zu ermöglichen. Das friedliche Nebeneinander ging bis zum April 1848, als es erstmalig in Posen zu Blutopfern unter Polen und Deutschen kam. Es war der aufkommende Nationalismus, der sich schon immer und überall negativ ausgewirkt hatte, wenn er zur Entfaltung kam. Das weithin von Preußen geprägte Kaiserreich von 1871
bis 1918 wurde auch die erste Großmacht mit einem demokratischen
Wahlrecht: allgemein, frei, gleich und geheim. Frankreich erhielt es erst
1875,
Großbritannien 1918. Aus christlicher
Verantwortung und preußischer Tradition - beides bis auf die Zeit
des Ritterordens zurückführbar - wurde - so die Begründung
in der entsprechenden Erklärung Kaiser Wilhelm I. - Deutschland
1881
der erste Sozialstaat der Welt. Hier zuerst wurde z.B. für Witwen
und Waisen sowie für alte und schwache Arbeiter gesorgt und ihnen,
- nach damaligen Maßstäben - ein einigermaßen lebenswertes
Leben ermöglicht. Alle diese Errungenschaften haben das preußisch-protestantische
Pflichtgefühl mit Tugenden wie Pflichtbewußtsein, Ehre, Edelmut,
Toleranz und Fairness geprägt. Es gibt hierfür - gegenüber
anderen negativen Meinungen (wie sollte es anders sein) - genügend
beweiskräftige Berichte, die davon zeugen. Und so haben sich diese
Tugenden ohne Zwang auf viele Bürger Preußens übertragen
und das, obwohl die Zusammensetzung der Bevölkerung durchaus nicht
homogen Deutsch war. So zog es polnische, litauische und baltische Studenten
aus diesen Ländern - auch als sie schon eigene gute Universitäten
hatten - an die Albertina, in deren Umfeld sich eine umfassende Lebensgemeinschaft
der deutschen und osteuropäischen Völker bildete. Für alle
diese war Kant mit seiner Tugend- und Sittenlehre praktisch ein Motor,
der den Boden für solche Freiheiten fruchtbar machte.
Sie sind, wie es Goethe im Zusammenhang mit Kant von den
Bürgern zum Ausdruck brachte, "alle Kantianer
geworden, ohne dessen bewußt zu sein, oder ein einziges Wort von
Kant gelesen zu haben“. Und auf die gleiche Art sind auch alle Preußen
geworden, ohne daß sie sich darüber im Klaren waren, so daß
es keinem schwer fiel oder von ihm gar als Last empfunden wurde, sich dem
preußischen Codex unterzuordnen, sondern ganz einfach zu dienen.
In welchem Land konnte man denn sonst noch eine solche Feststellung treffen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese preußischen Ideale schnell vom Zeitgeist verschüttet. Die “Umerziehung“ oder"re-education“ hat ihr Übriges getan. Der Kontrollrat hat den Staat Preußen, der mehr oder weniger sowieso nur noch auf dem Papier existierte, verdammt und aufgelöst. Preußen galt nur noch als böse militärische Macht von der es galt, alles was daran erinnerte, wie Ungeziefer zu zertreten. Es war klar, und auch das Ziel, daß dies auf die Menschen abfärbte, und so zeigte die "re-education“ bis in die heutige Zeit ihre Wirkung, ohne daß die Meisten es zur Kenntnis nahmen. Man wird mir, so wie auch Gleichaltrigen, vorwerfen, daß wir immer noch nichts dazu gelernt hätten. Aber wenn man erst so alt geworden ist und mit einigermaßen offenen Augen durch die Zeiten gegangen ist - das gilt sicher nicht für jeden - dann hat man genug gesehen und gelernt, um unterscheiden zu können, was nationalsozialistisches Nazitum und was preussische Traditionen (mit ihren positiven Merkmalen) sind oder waren. Aber es erfreut mich, wenn Politiker, ganz gleich welcher Couleur und von denen man es am wenigsten erwartet, heute gar nicht laut genug davon reden können, daß sie mit Stolz an ihre preußische Erziehung zurück denken und auf ihr preußisches Fühlen und Denken hinweisen. Preußisch zu sein scheint also wieder “in“ zu sein! Jedenfalls müssen wir feststellen, daß die Vorstellungen von Preußen mit Pickelhaube und Säbelrasseln wenig mit preußischer Realität zu tun haben: Es sind Zerrbilder aus der alliierten Feindpropaganda des Ersten Weltkrieges, die sich bei uns - als vermeintlich wahres Abbild des Preußentums - eingeprägt haben. Diese Voreinströmungen machen den Zugang zu. Preußen schwer - oder nahezu unmöglich. Aber obwohl Preußen immer wieder gescholten und sogar aufgehoben wurde, bleibt die Faszination dieses Staates, der vom Großen Kurfürsten bis zu König Wilhem I. eine Dialektik von Disziplin und Freiheit, von Strenge und Toleranz, von Kriegsbereitschaft und von Friedenssehnsucht entwickelt hat. Preußen läßt in seiner Deutung bis heute fast alles zu - nur nicht Gleichgültigkeit. Was an Preußen kritikwürdig war - und niemand hat Preußen schärfer kritisiert als die Preußen selbst, die es liebten, - wie etwa ein Theodor Fontane, sollte nicht der Vergangenheit anghören, aber insgesamt beinhaltet der Begriff Preußen mehr als das: nämlich eine eigene und unverwechselbare und faszinierende Idee von Pflicht, Tugend und vor allem Rechtsstaatlichkeit. Und diese Idee lebt fort! Eine wahre Kultur kann einen menschlichen Typus mit eigenen ausgeprägten
Charakterzügen formen. Dazu tragen auch ohne Zweifel Kunst und Wissenschaft,
Glauben und Denken bei, - Glauben und Denken wahrscheinltch mehr als irgend
etwas Anderes. Eine wahre Kultur muß daher ein Ganzes sein und das
Leben des Menschen und das Einswerden mit seiner Umgebung mit umfassen.
Preußen hat eine derartige Kultur ins Leben gerufen und einen
Menschentyp geformt, der auch heute noch durchschillert, und wir wollen
hoffen, auch wieder Auswirkungen haben wird. Wir jedenfalls - bei dem Einen
mehr, bei dem Anderen weniger - ‚ die wir Preußen mit der Muttermilch
eingesogen haben, sind beglückt, daß das Pflänzchen Preußentum,
schüchtern aber unübersehbar wieder anfängt zu wachsen und
sich zu entfalten. Wir wollen hoffen, daß es zum Blühen kommt
zu unser aller Vorteil. Und die Zweifler werden hoffentlich erkennen -
wenn sie nicht grundsätzlich gegen alles sind, was mit Preußenzusammen
hängt - , daß uns das Preußentum, wenn man es nur läßt,
eine gute Zeit bescheren kann: Wer sehnt sich nicht nach einer neuen Wertegemeinschaft!
Und dafür wollen wir dankbar sein.
Wir haben in den Grenzen Preußens eine freie und ungezwungene Jugend verlebt - der Eine mehr, der Andere weniger; jeder, wie er gewillt war, sich seine Möglichkeiten zu nehmen. Wir müssen aber auch dankbar sein - das hat nun nichts mit Preußen zu tun - daß wir diesen schrecklichen Krieg einigermaßen gut überstanden haben, der Eine ganz ohne, der Andere mit schweren Blessuren. Und wir müssen dankbar sein, daß wir unsere Burgschulgemeinschaft fast immer in ruhigem Wasser zum Nutzen aller halten konnten. Außerdem müssen wir aber auch dafür dankbar sein, daß wir heute noch in der Lage sind, hier zu sein und gemeinsam den Abschied von unserer Burgschulgemeinschaft Königsberg (Pr) e.V. zu begehen. Vor allen Dingen finde ich aber, daß wir ehemaligen Burgschüler dankbar sein sollten, daß in unserem Innersten, wenn vielleicht auch bei vielen etwas verdeckt, gute preußische Tugenden schlummern, die alle nur darauf warten, daß sie bei einer neuen Wertegemeinschaft wieder zum Tragen kommen. Ich möchte Sie bitten, diesen Dank mit mir mit dem Choral von Leuthen
zum Ausdruck zu bringen, den wir jetzt gemeinsam singen wollen.
Ich danke Ihnen. |