Vortrag am 26. Mai 2002 anläßlich der letzten Versammlung der "Burgschulgemeinde (PR) e.V."
Gehalten von Dr. Klaus Blankenstein

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Burgschulfamilie,
sehr geehrte Gäste und Freunde!

Namentlich erwähne ich unser Ehrenmitglied OStudDir a.D. F. W. Krücken und Frau, StudDir a.D. Dr. Neuhoff und Frau, Pfarrer i.R. Grimoni, und füge wegen der vielen, die nicht mehr unter uns sind, hinzu:

Verehrte An- und Abwesende!

Das Thema Burgschule und Burgschulgemeinschaft Königsberg (Pr) e.V. ist breit gestreut.

Ich will versuchen, es in drei Abschnitten abzuhandeln.
 

1. Gründung der Burgschule 1658/1664 und ihre Weiterentwicklung bis 1945.
2. Die Burgschulgemeinschaft, die ich unter anderem als Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied von 1966 begleitet habe, deren Wirken im Sinne ihrer Satzung.
3. Einige Gedanken zu Preußen aus Duisburger Sicht.


Zu 1.

Gründung der Burgschule 1658/1664 und ihre Weiterentwicklung bis 1945

Die Begründung der Burgschule steht mit der Verbreitung der reformierten Lehre und der Stellung, die ihre Bekenner in Ostpreußen einnahmen, in engstem Zusammenhang. Denn sie beruhte in erster Linie auf dem Wunsch, Mitgliedern der reformierten Gemeinde, die die Stellung eines kundigen Lehrers, Kirchen- oder Staatsdieners erstrebten, in gleicher Weise Gelegenheit zur Vorbildung für ihre Studien zu geben, wie sie die Lateinschulen der Lutheraner boten. Dazu gehörte zum Beispiel der Besuch der 1544 von Herzog Albrecht errichteten Universität zu Königsberg, der Albertina. Bei der Errichtung der Schule hebt der Große Kurfürst ausdrücklich hervor, „dass er die Schule nach Kräften fördern wolle, damit auch die Jugend evangelischer, reformierter Religion im Herzogtum Preußen zu Pietät, christlich ehrbaren Tugenden und anderen guten Sitten erzogen würde!“ 

Hintergrund für das Engagement des Großen Kurfürsten bilden historische, politische und intolerante religiöse Gründe. Der Deutsche Ritterorden, der im 13. Jahrhundert seine Tätigkeit – Christianisierung und Kolonialisierung – nach Osteuropa verlagert hatte und den preußischen Ordensstaat gegründet hatte, wurde 1525 säkularisiert. Der letzte Hochmeister, Albrecht von Brandenburg, wurde Herzog des nunmehrigen Herzogtums Preußen und schwor dem polnischen König den Lehnseid (Friede zu Krakau). Aufgrund des Zufalles, dass der letzte Hochmeister ein Hohenzoller war, wurde das herzogliche Preußen nun zentraler Bestandteil der brandenburg-preußischen Monarchie und hat ihr den Namen gegeben.

In Preußen hatten die Stände 1569 durchgesetzt, dass von den neuen Bekenntnissen nach der Reformation nur das Lutherische im Herzogtum geduldet werden sollte. Diese Bestimmung wurde 1612 erneuert. Konsequent wandten sich die lutherischen Prediger und die Bevölkerung mit großer Schärfe gegen die – insbesondere nach 1525 – zugewanderten Reformierten; was zu tiefen Einschnitten in das Leben der Betroffenen im Hinblick auf deren Ausbildung, Fortbildung, Berufe, ja Bestattung führte.

Die Vorfahren des Großen Kurfürsten waren bereits – Niederlande – zum calvinistischen Glauben übergetreten. Nach dem Vertrag von Wehlau, 1657, der Preußen von der polnischen Lehnshoheit befreite, und die reformierte Konfession ausdrücklich als gleichberechtigt anerkannte, fasste der Große Kurfürst den Entschluss, der reformierten Gemeinde zu einem eigenen Kirchengebäude und einer eigenen Schule in Königsberg zu verhelfen. Die Vermögensgrundlage zur Errichtung einer Lateinschule schuf er durch die Schenkung von über 100 Übermaßhufen – Landstücke, die urbar gemacht worden waren – im Amte Labiau. Die Übergabe erhielt 1664 Rechtskraft.

Da die reformierte Gemeinde 1658 mit eigenen Mitteln eine Schule für Kleinkinder, eine sogenannte „Parochial-Schule“ – also eine dem Kirchspiel gehörende Schule – errichtet hatte, diese aber keine Lateinschule war, gibt es in den Schriften, die der Geschichte der Burgschule zugrunde liegen, zwei Gründungsdaten. Nämlich 1658 und 1664. Dies ist auch der Grund, weshalb die ¼-Jahrtausendfeier, deren Vorbereitungen bereits weit gediehen waren, 1914 ausgefallen ist. Das gleiche gilt für die geplante 275-Jahr-Feier, die mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges zusammenfiel. Diesen Jubiläen lag die Gründung der Lateinschule 1664 zugrunde.

Hingegen bezieht sich die 300-Jahr-Feier, die auch Grundlage der Übernahme der Patenschaft durch das Mercator-Gymnasium war, auf die Gründung der Parochial-Schule zu Königsberg, 6 Jahre vor der Inbetriebnahme der Lateinschule, deren Basis der Große Kurfürst gelegt hat. Die kleine Parochial-Schule war – das wissen meine Königsberger Freunde - am Schlossteich gelegen. Dieses Gebäude der späteren Lateinschule am Burgkirchenplatz einschließlich ihrer Umbauten hat im Eigentum der reformierten Gemeinde nahezu 230 Jahre gestanden. In diesen Jahren hatte sie folgende Namen: 

- Evangelisch reformierte Parochial-Schule / 1658 – 1664
- Reformierte, Lateinische Parochial-Schule, auch reformierte Lateinschule, 
- Deutsche reformierte Schule / 1664 – 1812,
- Höhere Bürgerschule,
- Höhere Burgschule / 1813 – 1859,
- Realschule 1. Ordnung / 1859 – 1862
1889 wurde diese Schule verstaatlicht und als „Realgymnasium auf der Burg“ bezeichnet (1882 – 1899). Sie zog 1895 in die Räumlichkeiten des ehemaligen Friedrichs-Kollegs am Kollegienplatz um. Ab 1899 bis 1933 wurde sie „Staatliche Oberrealschule auf der Burg“ oder auch „Reform-Realgymnasium auf der Burg Königsberg/Preußen“ genannt. In diese Phase, nämlich 1927, fällt der Umzug nach fast 30 Jahren im Friedrichs-Kolleg in das neue Gebäude, dem modernen „Haus am Landgraben“. Sie hieß nun „Oberschule für Jungen auf der Burg“ bzw. „Burgschule, Oberschule für Jungen in Königsberg/Preußen“.

Aus alten Unterlagen lassen sich einige Beurteilungen über die Schule und ihre Leistungen ableiten. 1803/1804 heißt es in eine Revisionsbericht:
Die deutsch reformierte Schule gehört zu den größten und vorzüglichsten Anstalten in Königsberg“. 1811: Die Schule bestreitet seit 30 Jahren unter den gelehrten Schulen der Stadt und der Provinz ihre Stelle höchst ehrenvoll."

Der Schulunterricht bzw. die Lehrstunden fanden vormittags von 7:00 Uhr bis 11:00 Uhr und nachmittags von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr statt. Lediglich am Mittwoch und Sonnabend fiel der Unterricht nachmittags aus. In den Wintermonaten Dezember und Januar begann der Unterricht wegen der Dunkelheit erst gegen 8:00 Uhr.

Das 1927 bezogene Gebäude am Landgraben, unsere Penne, so wie wir sie alle kennen, hat nahezu unbeschadet den 2. Weltkrieg überstanden und beherbergt, wie Sie wissen, die Schule Nr. 1 im jetzigen Kaliningrad. Es entsprach in seinem Grundriss den Maßen der Restflügel der Ordensburg Lochstedt im Frischen Haff. Auf die großzügigen Räumlichkeiten für alle Lehrfächer brauche ich nicht einzugehen; und aus Zeitgründen will ich auch auf berühmte Lehrer und Schüler dieser Anstalt nicht hinweisen, wie das sonst bei Festvorträgen üblich ist. Die Schülerzahl hat in den stärksten Jahren bei 500 – 600 gelegen.

Die von dem Bildhauer Hans Wissel in Stein gehauenen Köpfe von Kopernikus, Kant, Herder und Corinth über dem Haupteingang sind bei der Belagerung und Besetzung Königsbergs vernichtet worden. Vielleicht in der Annahme, dass es militaristische Preußen oder Nazis waren.

Der Burgschule blieben in dem neuen Haus, in dem wir die Schulbank gedrückt haben, keine 18 Jahre für ihre Aufgabe. Jetzt kann das Gebäude sein 75jähriges Bestehen feiern. Ab 1939 war Dr. Falcke der Leiter dieser Schule. Er war allerdings während des Krieges nach seiner Verwundung ab 1940 beim Generalkommando in Königsberg tätig und wurde durch Herrn Oberstudienrat Lange vertreten. Ich trat 1940 in diese Schule ein.

Literatur:
– Die Geschichte der Burgschule von 1664 bis 1914,
– Festschrift zum 250jährigen Bestehen der Anstalt durch A. Zweck,
– Königsberger Presse 1914,
– Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht / Ostern 1915,
– Sowie 300 Jahre Burgschule/Königsberg / Sonderheft des Forum,
– Zeitschrift des Mercatorgymnasiums zu Duisburg von Erich Böhm / 1658 bis 1958



Zu 2.

Die Burgschulgemeinschaft, die ich unter anderem als Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied von 1966 begleitet habe, deren Wirken im Sinne ihrer
Satzung.

Nach diesem Rückblick über 300 Jahre versuche ich im zweiten Abschnitt, die letzten 50 Jahre zu durcheilen. Nach Kriegsende, Flucht und Vertreibung begann der mühsame Wiederaufbau. Bedenken Sie, nahezu 14 Millionen Menschen aus dem Osten mussten in die vier damaligen Besatzungszonen mit zum Teil arg zerstörten Städten integriert werden. Es kam die Währungsreform (1948) und der Beginn der beiden deutschen Staaten (1949). Nach dem Erwachen aus dem Chaos begannen sich auch Königsberger und Burgschüler zu treffen. Dafür gab es viele Gründe, nicht nur – wie manche vermuten – den der Erinnerung. Königsberger und auch Burgschüler trafen sich vornehmlich in Hamburg, weil dort nach der Flucht über die Ostsee viele Ostpreußen geblieben waren. Oberstudienrat Lange, der 32 Jahre an der Burgschule tätig war und diese Schule in längeren Phasen auch stellvertretend geleitet hatte (persönliche Erinnerung: "Ich will nicht wieder Ober genannt werden!“), lebte in Stralsund und hatte bereits eine Fülle von Unterlagen und Karteien von ehemaligen Burgschülern erarbeitet. Diese Karteien und Adressen wurden durch Erich Böhm aktualisiert und erweitert. Ein erstes Wiedersehen feierten Burgschüler 1947 in Hamburg.

Es lag damals im Zuge der Zeit, dass viele Städte als Ausdruck ihrer Verbundenheit Patenschaften zu verlorengegangenen Städten aus den Ostgebieten übernahmen, um so an die kulturelle Leistung zu erinnern und diese wach zu halten. Erst nach der 68er Revolte kam man in den Verdacht, ein Revanchist zu sein, wenn man dieses Thema erwähnte; denn der politische Wille richtete sich auf die Anerkennung historischer Fakten, nicht auf historische Gerechtigkeit. So wird es auch jetzt erst andeutungsweise möglich, die Frage zu stellen, ob das Volk der Täter möglicherweise auch Opfer gebracht habe. Dies deshalb, weil Menschenrechtsfragen – auch in historischer Perspektive – heute eine größere Bedeutung bekommen. Duisburg, mit dem unvergessenen Oberbürgermeister Seeling an der Spitze, übernahm 1952 die Patenschaft über Königsberg/Preußen und gab uns so eine Ersatzheimat. Viel hat die Stadt aus dieser Verpflichtung heraus getan. Es gibt hier ein Immanuel Kant-Park. Ich erinnere an das Haus Königsberg, an das Museum, an eine Kant-Tafel am Rathaus und manche Erinnerung an Königsberg mehr.

Der Ritterorden und auch die Tatsache, dass beide Städte einen großen Binnenhafen haben, war Anlass für die Patenschaftsübernahme. Als Gastgeber wirkte die Stadt Duisburg beim Königsberger Treffen anlässlich der 700 Jahr-Feier (1955) mit; dies habe ich als Höhepunkt der Gastfreundschaft der Stadt erlebt. Ich arbeitete damals bei der Firma Krupp in Essen. Wenn man die wirtschaftliche Situation Duisburgs bedenkt; damals gab es im Duisburger Raum eine reine Monokultur, mehr als 60 % der Stahlindustrie und der eisenschaffenden Industrie waren in diesem Raum versammelt und wenn man weiß, welche Probleme und Aufgaben die Stadt mit den teilweise noch demontierten Werken der Stahlindustrie hatte, so kann man die Großzügigkeit der damals Verantwortlichen nicht
hoch genug würdigen.

In besonderem Maße wirkte sich der Patenschaftsgedanke dort aus, wo er am fruchtbarsten sein kann: bei der Jugend, also im Schulwesen. In Duisburg gab oder gibt es meines Wissens acht Schulgemeinschaften. Auf einer allgemeinen Konferenz wurde Ende 1957 die Übernahme der Patenschaft für die ehemalige Burgschule Königsberg/Preußen durch das MG beschlossen und im September 1958 wurde die Patenschaft urkundlich besiegelt. Die Vorarbeit hierfür haben insbesondere der damalige Leiter der Mercatorschule, Herr Dr. Pape und Herr Dr. Falcke, als letzter Leiter der Burgschule, geleistet. Die Übernahme dieser Verpflichtung war für das MG keine Selbstverständlichkeit; denn das Schulgebäude des MG wurde im Jahr 1943 durch Luftangriffe zerstört und erst im Jahr 1957 konnte die Schule ihr wieder aufgebautes Gebäude nach langer Notunterkunft beziehen. Die Mercatorschule wurde 1901 als lateinlose Realschule gegründet. Das Gründungsjahr war für die Entwicklung des preußisch/deutschen Schulwesens von besonderer Bedeutung. In dem jahrzehntelangen Ringen war die unbeschränkte Gleichberechtigung
der realen höheren Schule erkämpft worden, d. h. ihren Abiturienten standen von da an das Studium aller Fakultäten mit Ausnahme der Theologie genauso offen wie den Schülern der anderen Gymnasien. Die Lage der neuen Schule im Grenzgebiet zwischen dem Stadtkern und dem Industrieviertel sollte auch äußerlich kennzeichnen, dass sie ihr Bildungsgut vornehmlich aus den Grundlagen der neuzeitlich technischen und wirtschaftlichen Kultur herleite, um damit die Schranken, die in früheren Zeiten zwischen Wissen und Volksleben standen, niederzureißen. Schon damals war man sich der sozialen Frage in der Bevölkerung bewusst, die als Folge der Industrialisierung in Deutschland entstanden war.

Aus der übernommen Patenschaft ergaben sich für beide Partner Verpflichtungen. So hat das MG z. B. die Vervielfältigung und den Versand unserer Rundbriefe von Anfang an übernommen. Für uns Burgschüler war das zunächst nicht einfach. Wir nahmen an den Abiturientenentlassungen der Mercatorschule als Gäste teil und konnten nur durch damals übliche Hutsammlungen für die eine oder andere Aufgabe ein Scherflein beitragen. Die Freunde vom Friedrichs-Kolleg, deren Patenschule das Landfermann-Gymnasium war, hatten es sehr bald einfacher, weil sie über eine großzügige Stiftung verfügten. So dümpelte zunächst die Patenschaft vor sich hin und ich entsinne mich, dass manche [der ersten] Ansprache[n W.K.] bei der Abiturientenentlassung bei der Schlacht von Tannenberg endete. 1964 verstarb unser hochgeschätzter Lehrer Dr. Friedrich Schröder, der 1908 bis 1929 und 1940 bis 1945 an der Schule unterrichtete. Er hinterließ den Burgschülern eine Stiftung von 2.000,-- DM. 1965 verstarb im Dienst Oberstudiendirektor Dr. Pape und Dr. Oberwinder, der neue Leiter des MG, begleitete verständnisvoll unsere Arbeit. Ich wechselte im Winter 1961/1962 von Essen nach Duisburg zur Duisburger Kupferhütte. Im zweiten Weltkrieg hatte ich nicht nur die Heimat, sondern auch meine gesamte Familie verloren. Besonders in einer solchen Situation bleibt die Schule in der Erinnerung ein Stück Heimat und es wird zum selbstverständlichen Bewusstsein, dass sie als Erziehungsfaktor in der Bildung unauslöschbar ist, zumal Lehrer und Unterricht die ersten propädeutischen Umrisse allgemeiner menschlicher Lebenslehre vorgezeichnet haben. So war es für mich eine Selbstverständlichkeit, im Kern des Burgschulkreises
mitzuarbeiten.

1962 beeindruckte mich die bemerkenswerte Feier im MG anlässlich des 450sten Geburtstages des Namensgebers, Gerardus Mercator.

Der Schwerpunkt der Tätigkeit ehemaliger Burgschüler verlagerte sich von Hamburg auf den Raum Düsseldorf/Duisburg. Kurt Erzberger, Heinz Labinsky, Hellmuth Schulz waren bereits zusammen, als ich zu ihnen stieß. Wir beschlossen alsbald eine formelle Bindung anzustreben, d. h. für die ehemaligen Burgschüler einen eingetragenen Verein zu gründen, um so die Basis für die übernommenen Verpflichtungen zu schaffen. In der Duisburger Kupferhütte war ein Sohn von Herrn Dr. Falcke in der Bauabteilung tätig, so dass ich auf diesem Wege auch Zugang zu meinem ehemaligen Schulleiter fand. Für das Vorhaben zur Gründung des Vereins, der den Namen Burgschulgemeinschaft Königsberg (PR) e.V. tragen sollte, habe ich vorbereitend eine Satzung erarbeitet. Dabei war mir der Justitiar der damaligen Kupferhütte, Herr Assessor Schraepler, behilflich.

Der erste Gründungsversuch im Juni 1966 misslang, woraus Sie entnehmen wollen, dass diese Konzeption nicht unumstritten war; denn es fanden sich keine sieben Gründungsmitglieder. Erst im November 1966 gründeten 17 ehemalige Burgschüler die Burgschulgemeinschaft Königsberg (PR) e.V. .Meines Wissens sind davon noch fünf am Leben. Die Eintragung beim Amtsgericht in Duisburg fand im März 1967 statt. Der erste Rundbrief erschien zu Weihnachten 1966. In diesem berichtete unser ehemaliges Mitglied, Alfred Kubicki, über die Gründungsversammlung. Von den 7 Schulfreunden, die auf dem Duisburger Gericht zur Eintragung 1967 erschienen, sind noch drei am Leben. Ich begrüße in diesem Zusammenhang besonders Alfred Kubicki und Hellmuth Schulz.

Die Satzung hat in den hinter uns liegenden 35 Jahren allen Anforderungen genügt (bis auf kleine Änderungen) und war uns ein Leitfaden für unser Gemeinschaftsleben.

Wenn ich jetzt nachfolgend einige Schulkameraden erwähne, die sich besonders in der Burgschulgemeinschaft engagiert haben, so schließe ich damit auch im Namen der anwesenden Freunde den Dank, die Anerkennung und die Würdigung ausdrücklich mit ein, auch wenn dies für viele posthum gilt.

Im ersten Vorstand waren Kurt Erzberger, Hellmuth Schulz und Wolfram Wormit tätig. Ich war 2. Vorsitzender. Kurt Erzberger war ein großartiger Organisator. Mit Hilfe seines Büros ( er verwaltete eine große Behörde) konnten wir die Kartei auf den neuesten Stand bringen und die Burgschulgemeinschaft schwoll auf weit über 100 Mitglieder an. Es wurden nunmehr Jahreshauptversammlungen unter anderem in Duisburg, Lüneburg, Bad Driburg, Goslar, Bad Godesberg, Breitscheid, Osnabrück, Göttingen, Hamburg und Kassel durchgeführt. An den ersten Versammlungen nahmen unsere ehemaligen Lehrer Jopski und Ewald teil.

Und selbstverständlich erhielt die Abiturientenentlassung in der Patenschule eine besondere Bedeutung in unserem Gemeinschaftsleben. Wir konnten dank der Mitgliedsbeiträge und Spenden nun regelmäßig an die Abiturienten Alberten verteilen. Sie wissen, eine Anstecknadel, die auf das alte Universitätssiegel der Albertina zurückgeht und mit denen die Königsberger Abiturienten ihre Absicht bekundeten, bald Bürger der Albertina zu werden. Wir überreichten diesen Albertus, den Schulabgängern als Symbol der Patenschaft und vielleicht auch als Zeichen des Weiterlebens der Albertina, die übrigens von der russischen Bevölkerung – insbesondere der russischen Jugend - ebenfalls hoch in Ehren gehalten wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die großartige 450-Jahr-Feier der Albertina (1994).

1968 richtete Herr Dr. Oberwinder den Raum zwischen Sekretariat und Lehrerzimmer für uns als Patenschule zum Burgschulzimmer ein. Wir konnten nunmehr Karteien, Erinnerungsstücke und Fotosammlungen unterbringen und hatten für unsere regelmäßigen Vorstandssitzungen eine schöne Räumlichkeit. Kurt Erzberger hat die Burgschulgemeinschaft bis zu seiner Pensionierung und zu seinem Fortgang aus Düsseldorf 10 Jahre geleitet. Im folgte ab 1975Heinz Labinsky, dem
Hans Gramberg und Helmut Perband zur Seite standen. Die Kassenführung übernahm Wolfgang Wormit.

Während in der Aufbauphase viel Sacharbeit im Vordergrund stand, muss ich sagen, dass unter der Ägide von Heinz Labinsky und Helmut Perband aus der Burgschulgemeinschaft die Burgschulfamilie wurde. Die Großzügigkeit von Heinz Labinsky muss hier ebenso erwähnt werden wie die liebevollen, informativen und sehr persönlich gestalteten Rundbriefe, die Helmut Perband regelmäßig versandte.

Die Schulleitung des Mercator-Gymnasiums übernahm 1978 Herr Oberstudiendirektor Krücken für 15 inhaltsvolle Jahre. Er und Heinz Labinsky haben die Patenschaft in ganz harmonischer Weise vorangetrieben. Bedenken Sie bitte, dass auch für das MG schwierige Zeiten zu bestehen waren. Erst 1986 stimmte der Rat der Stadt Duisburg gegen die bereits geplante Auflösung des MG, in dem [damals, W.K.] Jugendliche aus ca. 15 Nationen zum Abitur geführt wurden. Wir haben in dieser Zeit eindrucksvolle Abschlußfeiern erlebt. 

An zahlreichen konnte ich damals für unsere Gemeinschaft Abschlußworte sprechen. Anlässlich der 30sten Wiederkehr der Übernahme der Patenschaft 1987, konnten wir der Schule ein vom Kunstlehrer Bernhard Meier entworfenes und hergestelltes Bronzerelief der Schule übergeben. Das Relief stellt die beiden Hafenstädte an Pregel und Rhein mit typischen Baudenkmälern und der umgebenden Landschaft dar. Ich habe damals in den Worten zur Übergabe darauf hingewiesen, dass die Wahrung des geistigen Erbes nicht an die Existenz der Erlebnisgeneration gebunden ist. Dies haben uns andere Völker gezeigt.

1988 war für die Burgschulgemeinschaft ein Schicksalsjahr. Heinz Labinsky starb Anfang des Jahres und kurz nach seiner Wahl zum 1. Vorsitzenden verstarb auch Helmut Perband gegen Ende 1988. Nach dem Tode von Helmut Perband 1988 übernahm ich als 2. Vorsitzender für etwa ein Jahr kommissarisch die Leitung der Burgschulgemeinschaft. Ich war Ende der 60er Jahre nach Goslar gegangen, meine Frau lag auf dem Sterbebett und der Sohn stand vor dem Schulabschluß. Insofern war es mir nicht möglich, aktiv die Burgschulgemeinschaft zu leiten.

1989 sprang für sechs Jahre Klaus Falcke ein, dem der treue Hellmuth Schulz, Jan Hoogendijk und Dieter Brandes zur Seite standen. In dieser Zeit geschah das große Wunder. Es fiel nicht nur die Berliner Mauer, auch der Eiserne Vorhang, der die Welt seit 1945 trennte, brach in sich zusammen. So konnte bereits 1991 der erste Austausch von Schulkindern aus Königsberg/Kaliningrad nach Duisburg durchgeführt werden. Herr Oberstudiendirektor Krücken war in seiner aktiven Art auch hierfür die treibende Kraft.Herr Studiendirektor Dr. Neuhoff als Projektleiter Kaliningrad hat uns hierüber gerade berichtet. Er hat den Schüleraustausch 19 mal begleitet. Durch den Zerfall der Sowjetunion wurde die eigentliche Patenschaft, nämlich zwischen der ursprünglichen Burgschule und dem MG, nunmehr lebendig. Viele Duisburger Kinder waren in Ostpreußen und man kann schon sagen, dass hier Schulgeschichte geschrieben worden ist. Diese besondere Aufgabe wurde vom Vorstand der Burgschulgemeinschaft mit großem Engagement verfolgt und hier gebührt auch Klaus Falckes Nachfolger, Dieter Brzozowski, sowie Dietrich Thomasius, Waltraud Neumann-Goldberg, Annemarie Kajewski sowie Eberhard Preuß und später Christoph Knapp ein besonderer Dank (ich erinnere an die Schülertreffen in Bremerhaven). Wie konstruktiv die Zusammenarbeit ist, zeigt, dass 1995 anlässlich des 50jährigen Bestehens der Schule Nr. 1 in Kaliningrad die Burgschulgemeinschaft offiziell zu einem Besuch geladen wurde. Die Leiterin der Schule Nr. 1, Frau Schatrowa, war anläßlich der 100-Jahr-Feier des MG ebenfalls hier zu Besuch gewesen.

Ich bin zweimal privat in Königsberg und natürlich auch in der Burgschule gewesen. Sie ist in einem guten Zustand und insbesondere fallen die Aktivitäten im musischen Bereich auf. Es lernen dort etwa 800 Schüler, die in 11 Jahren zum Abitur geführt werden. Bei meinem letzten Besuch in Königsberg wurde mein Elternhaus gerade zurückgebaut, so dass ich mich kaum entschließen werde, noch einmal den Weg dorthin zu nehmen.

Die Nachfolge von Herrn Oberstudiendirektor Krücken hat Herr Oberstudiendirektor Fuchs 1994 für vier Jahre im MG angetreten und seit 1999 leitet die Anstalt Frau Oberstudiendirektorin Boden-Knapp.

Ihnen gebührt unser Dank für die kontinuierliche Unterstützung. Frau Boden-Knapp hat gerade im letzten Jahr die bemerkenswerte Feier zum 100 Geburtstag des MG vorbereitet und durchgeführt. Das was auch das Datum der 43. Wiederkehr der Übernahme der Patenschaft.
 
Wir sind nun, meine lieben Freunde, sehr verehrte Gäste, dabei, die Burgschulgemeinschaft Königsberg (Pr) e.V. – aus der ich einiges berichtet habe - aufzulösen. Es waren aus meiner Erinnerung 35 lebendige Jahre, in denen wir versucht haben, die in unserer Satzung selbst gesteckten Ziele zu erfüllen. Es waren dies zu Ihrer Erinnerung

a) Die Verbindung zur Stadtvertretung von Königsberg aufzunehmen und diese zu pflegen,
b) das Patenschaftsverhältnis zwischen dem Mercator-Gymnasium in Duisburg und der Burgschule zu bilden und zu vertiefen,
c) die Beziehung zu anderen Vereinigungen ehemaliger Schüler in Königsberger Schulen herzustellen und zu pflegen.


Zu a)
In der Stadtvertretung haben in diesen Jahren unsere Freunde, die Mitglieder Knapp und Berg, mitgearbeitet. Die Vorstände haben immer ein enges Verhältnis zur Stadtvertretung gehabt und es ist vereinbart, dass das Vermögen des Vereins an die Stadtgemeinschaft Königsberg fällt, wozu auch die Dr. Friedrich Schröder-Stiftung gehört.
Zu b)
Zum Patenschaftsverhältnis brauche ich nach dem oben Gesagten nichts mehr zu erwähnen. Wir sind sehr glücklich, dass sich durch die Änderung der  weltpolitischen Verhältnisse auch diese Aufgabe ideal gelöst hat und wir danken ausdrücklich dem MG, dass es diese Verpflichtung übernommen hat. Ich sage dies aus der Erkenntnis, dass dies nicht selbstverständlich ist. Welche Veränderungen, im Schulleben, in den Ausbildungszweigen und –„stufen“, welche zusätzlichen
Aufgaben durch Projekte, Wettbewerbe und z. B. Elternarbeit allein in den 43 Jahren unserer gemeinsamen Patenschaft eingetreten sind, läßt sich unschwer der Festschrift „100 Jahre MG“ entnehmen. Seit 1967 pflegt das MG darüber hinaus einen intensiven Austausch nach Rochefort.

Die jüngsten Ereignisse (in Erfurt) lassen zusätzliche Fragen auftreten. Was läuft falsch an deutschen Schulen? Was läuft falsch in unserer Gesellschaft? Meine Lebenserfahrung: Wir haben in unserer Wohlstandsgesellschaft einen Mangel an Vorbildern. So z. B. in den Bereichen Wirtschaft, Politk, Sport. Ohne auf die PISA-Studie oder dergleichen näher einzugehen, sollte hierzulande jedermann klar sein, dass wir in Deutschland nicht von der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen oder den Bodenschätzen leben können oder darin gar unseren Reichtum finden. Vielmehr geht es um die Vermittlung von Wissen, Wissen an sich und vor allem die Anwendbarkeit des Wissen. Man kann schon aus einigen Ecken den Ruf nach dem „Multiplikator-Effekt“ hören, der da lautet: „Bessere Lehrer, bessere Schüler, bessere Studenten, bessere Wissenschaft und Industrie!“
Zu c)
Über die Beziehungen zu anderen Vereinigungen ehemaliger Königsberger Schulen hat regelmäßig Martin Peterssen berichtet. Seit 1978 existiert der Arbeitsring ostpreußischer Schulgemeinschaften, der jährlich in Bad Pyrmont tagt und sich auch zur Aufgabe gemacht hat, das Kulturerbe Ostpreußens zu pflegen.  Für die Stadt Königsberg sind neben den Schulgemeinschaften der 14 Oberschulen 17 andere Schulen registriert. Aus dem ehemaligen Ostpreußen stammen 105 Schulgemeinschaften. Martin Peterssen hat unsere Erfahrungen etwa bei der Organisationsform oder unserem Patenschaftsverhältnis in diesen Arbeitsring eingebracht und uns aus dem Gemeinschaftsleben der anderen Schulen berichtet. Ihm gebührt an dieser Stelle unser Dank.

Ich denke, wir können mit einer gewissen Zufriedenheit oder auch Genugtuung feststellen, dass wir unsere Ziele und Aufgaben konsequent verfolgt haben. Es verbleibt nun nach den vielen schönen Jahren der Abschied, der auch darin besteht, dass wir das uns großzügig zur Verfügung gestellte Burgschulzimmer räumen und alles, von dem wir meinen, dass es noch Bedeutung hat, der Stadtgemeinschaft, dem Museum Stadt Königsberg und dem Mercator-Gymnasium zu treuen Händen übergeben. Für das Leben der Burgschulgemeinschaft galt wie für das Leben des Einzelnen der Ausspruch: „Das Leben wird vorwärts gelebt, aber rückwärts verstanden!" (Søren Kierkegaard).

Wir wünschen dem MG, das in das zweite Jahrhundert seiner Geschichte getreten ist, bewährten Erfolg bei der Ausbildung der jungen Generation und legen den Verantwortlichen mit großem Dank unser Patenschaftsanliegen weiterhin ans Herz. Unser Ehrenmitglied OStudDir a.D. Friedrich Wilhelm Krücken hat, damit die Burgschule mit ihrer Geschichte und ihrem Anliegen in Erinnerung bleibt, ein Kapitel im Internet eingerichtet. (Diese web-site wird 2015 von Prof. Ehrich übernommen.)



Zu 3.

Ich komme nun zum letzten Abschnitt, den ich mit Gedanken zu Preußen aus Duisburger Sicht überschrieben habe.

Die Burgschule – vom Großen Kurfürsten gegründet - war eine ostpreußische Schule und Ostpreußen hat, wie im ersten Abschnitt berichtet, dem Land Brandenburg/Preußen den Namen gegeben. Anlässlich der 300 Wiederkehr der Gründung des 1947 aufgelösten Staates konnte man im vergangenen Jahr in der Presse viel Sinnvolles, aber auch Unsinniges über diesen Staat lesen. Preußen reizt dazu, es parteipolitisch zu verwerten. Es ist jedoch als Tradition, als
Lehrstück und Teil der europäischen Zivilisation, objektiv so bedeutungsvoll, dass man es nicht als Vehikel für die Linken, die Rechten oder für wen sonst beanspruchen sollte. Hinzu kommt, dass die Farben Preußens schwarz/weiß waren. (Als Naturwissenschaftlicher weiß ich sehr wohl, dass schwarz und weiß keine Farben im physikalischen Sinne sind). Je nach Standpunkt des Betrachters wird die eine oder andere Komponente überbetont.

Man hat die gut 10 Friedensjahre nach 1745 die glückliche Zeit des friderizianischen Preußens genannt. Im preußischen Städtchen Ruhrort kommt in den Genuss dieser Friedensjahre auch ein aus Orsoy am Niederrhein zugezogener Neubürger namens Jan Willem Noot. Ruhrort verfügt seit 1716 über einen Hafen, der durch seine günstige Lage (die Ruhr mündet hier in den Rhein) den Transithandel anzieht. Für ein geplantes Unternehmen benötigt Willem Noot Baugrundstücke und Baugenehmigungen. Es handelte sich um Grundstücke, für die die preußischen Behörden zuständig waren. Man würde heute sagen „Bauerwartungsland im Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen“. 1755 kommt es zu einem Erbvertrag, der allerdings, um wirksam zu werden, die Genehmigung, der „Konfirmation“, wie man damals sagte, durch den König selbst und nicht einer Aufsichtsbehörde bedurfte. In der absoluten Monarchie des 18. Jahrhunderts waren die Staatsgeschäfte noch auf die Person des Monarchen bezogen. Eine ganz besondere Ausprägung erhielt diese Staatspraxis in Preußen, und zwar durch die
Staatsphilosophie des Königs, mit der aus seiner eigenen Person und Leistung geschaffenen  Begründung: Ein dem Staatswohl verpflichteter Einzelner an der Spitze des Staates sei, was Effektivität angeht, allen anderen – insbesondere allen kollegialen Regierungsformen – überlegen.
Dass die Genehmigung etwa zwei Monate nach Vertragsabschluß erteilt wurde, spricht für die Leistungsfähigkeit der altpreußischen Verwaltung, aber auch für die Arbeitsdisziplin Königs Friedrich des II., der außer in Österreich, Sachsen und in linksintellektuellen Kreisen, hartnäckig Friedrich der Große genannt wird. Diese Urkunde ist die Grundlage für die Errichtung des großen Handelshauses, welches als eines der wenigen aus der Gründungszeit des Ruhrgebietes noch besteht. Ich meine die Firma Haniel, deren Hauptverwaltung man heute in der Nähe der Schifferbörse sehen kann. Sie wissen sicher, die Firma Haniel war eines der führenden Unternehmen bei der Förderung von Kohle und später beim Transport von Vorstoffen für die Eisen- und Stahlindustrie. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich das Aufgabenziel dieser Firma geändert, aber sie ist nach wie vor eine der großen tragenden Säulen im Duisburger Industrieraum.
 

Interessant, dass auch damals schon durch die moderne preußische Wirtschaftspolitik erwünschten Zuwanderern Vorteile und Privilegien geboten wurden:
10 Jahre Befreiung von Einquartierung und vom Wehrdienst, auch für die Söhne. Die königliche Kriegs- und Domänenkammer in Kleve bewilligte sogar die beantragte Steuerfreiheit für Wein zum eigenen Gebrauch. Anlässlich der Gesellschafterversammlung der Firma Haniel im vorigen Jahr hat der ehemalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herr Prof. Dr. Werner Knopp einen Vortrag gehalten, den er überschrieb mit dem Titel: „Im Schatten des Schwarzen Adlers – Gedanken über Preußen mit Streiflichtern auf Haniel

Aus diesem Referat möchte ich Ihnen abschließend einige Passagen zitieren und den Nachdenklichen unter Ihnen empfehlen:

Preußen ist untergegangen und wird nicht wieder erstehen. Trotzdem, so meine ich, bleibt uns das Erbe dieses großen deutschen Staates anvertraut. Sein reiches
kulturelles Erbe gehört dazu, aber auch die Staatsmaximen der Toleranz und der Rechtsstaatlichkeit gehören dazu, die für die Freiheitlichkeit unseres heutigen Staates genauso lebenswichtig sind wie die Demokratie. Die preußische Disposition zu Unterordnung und Gehorsam, die die preußische Geschichte durchziehende Bereitschaft zu Machteinsatz, Expansion und Kampf, haben sicher den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigt, der Preußen denn ja auch, und nicht nur am Tag von Potsdam 1933, für sich in Anspruch nahm. Das war verhängnisvoll, denn Unterordnung und Gehorsam galten im alten Preußen dem König, der an Anstand und Recht gebunden war und sich auch so verhielt. Im Dritten Reich trat an die Stelle des Königs ein Mann, der weder rechtlich noch moralisch irgendwelche Bindungen anerkannte. Der preußische Anteil am Aufstand des Gewissens, wie man die Aktion des 20. Juli zu Recht genannt hat, ist, Gott sei Dank, auf die andere Seite der historischen Waage zu legen und sichert Preußen einen ehrenhaften Abschied. „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit ...“, diese Melodie, die Sie alle kennen, das berühmte Potsdamer Glockenspiel, erklingt noch heute, wenn man weiß wo, in Potsdam und in Berlin Tag für Tag. Das Lied, dessen Melodie einst ein italienischer
Gassenhauer war, erinnert uns an die preußischen Tugenden, die man nicht aufspalten kann in Primär- und Sekundärtugenden. Pflichttreues, selbstloses Dienen ist die Kerntugend, Disziplin, Bescheidenheit, Sparsamkeit, Rechtlichkeit, Genauigkeit, Unbestechlichkeit lassen sich daraus ableiten und hinzufügen. Unser Volk erweist dem toten Preußen die seltene Ehre, Persönlichkeiten, bei denen sich diese Tugenden finden, nach wie vor das Prädikat „preußisch“ zu verleihen, wie eine Auszeichnung. In ihrem zeitlosen Kern haben diese Tugenden Vorbildcharakter und sind Haltungen, die jeder intakte Staat von seinen Bürgern fordert und auch braucht. Man findet sie als Ideal wie als Praxis daher auch in anderen Ländern. Aber in Deutschland war es nun einmal die historische Leistung Preußens und seiner
Menschen, diese Tugenden zum Markenzeichen zu erheben, und daher sollten wir Deutsche sie auch ruhig so nennen. Auf die moderne Gesellschaft hingegen lassen sie sich nicht mehr ohne Weiteres übertragen. In der Mediengesellschaft von heute, in der alles auf Selbstdarstellung ankommt und es von PR-Agenten, Image Makers, Spin Doctors und anderen Hilfstrompetern nur so wimmelt, wirkt die preußische Maxime: „Viel leisten, wenig hervortreten, mehr sein als scheinen“ eher wie ein Patentrezept für den beruflichen Untergang. Aber seien wir ehrlich: der ideale Kern, der in dem Satz steckt, berührt uns noch immer. Dass die Anrufung der preußischen Tugenden nicht verstummen will, zeigt nur, dass sie irgendwie vermisst werden. Außer demokratischen Bürgertugenden täte uns auch ein Schuss staatsbezogener Tugenden ganz gut. Und auch gestandenen Demokraten schadet es nicht, so meine ich, ab und zu das Potsdamer Glockenspiel zu hören und darüber nachzudenken. Eine bessere Art, dem toten Preußen Respekt zu erweisen, kann ich mir nicht vorstellen.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
 

Ein letzter Umtrunk ...

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Burgschulfamilie!

Für Ihre Geduld, dass Sie mir ein letztes Mal zugehört haben, danke ich Ihnen!

Dr. Klaus Blankenstein