Jahrestreffen
der Burgschulgemeinschaft vom 11. bis 13. September
1998 in Duisburg
40 Jahre Patenschaft
Mercator-Gymnasium - Burgschulgemeinschaft
27.September 1958 - 12.September 1998
Burgschulgemeinschaft
8 Jahre
Skola Nr.1
8 Jahre
Mercator-Gymnasium
Ein Bericht von StD SV Dr.Erhard Neuhoff
Ansprache im Rahmen der kleinen Feierstunde im Novotel am 12.9.1998,
19.00 Uhr
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich danke für die freundliche Einladung, in Ihrem Kreise einige
Worte zu sagen. Ich stelle meine kurzen Ausführungen unter folgende
drei Begriffe:
Ansichten..., Einsichten..., Aussichten...
Ansichten:
Im Bücherregal meines Arbeitszimmers hat sich im Laufe der letzten
7 Jahre eine „Etage" mehr und mehr gefüllt mit Literatur zu Ostpreußen
und Königsberg - das ist der historische Bezug - und mit Literatur
zu Stadt und Bezirk Kaliningrad - das ist der aktuelle Bezug. Die Buchtitel
sind sehr vielfältig, sehr verschieden und - sehr widersprüchlich.
Einige Beispiele, wahllos herausgegriffen:
Ostpreußen - wie es war
Kurische Nehrung - geliebt und unvergessen
Musikstadt Königsberg; Zeugnis vom Untergang Königsbergs
Von Kaliningrad nach Königsberg
Königsberg morgen - Luxemburg an der Ostsee
Fernes nahes Land - Begegnungen in Ostpreußen
einerseits
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Ostpreußen ade - Reisen durch ein melancholisches Land
andererseits
|
Ich frage mich sehr oft, meist immer unmittelbar nach der Rückkehr
von einem Aufenthalt im ehemaligen Ostpreußen: "Welcher Buchtitel
trifft die Realität am ehesten?" Als neutraler Beobachter - und als
solcher verstehe ich mich ausschließlich - versuche ich immer wieder,
vor dem Hintergrund der inzwischen sehr vielfältigen und sehr widersprüchlichen
eigenen Erfahrungen, zu einer Antwort zu kommen. Versuchen wir es vielleicht
einmal gemeinsam!
Einsichten:
Meine Damen und Herren,
in 6 Tagen, am kommenden Freitagnachmittag, wollte eine Reisegruppe
des Mercator-Gymnasiums aufbrechen nach Kaliningrad/Königsberg, zur
15. Begegnung zwischen dem Gymnasium Nr. l und dem Mercator-Gymnasium.
Leider hat die tagespolitische Situation dort (in der Region K. wurde vergangenen
Dienstag der "Notstand" ausgerufen) uns gezwungen, aus Verantwortung um
das Wohl aller Beteiligten, diese Reise am letzten Mittwoch kurzfristig
abzusagen. Eine sehr schwere Entscheidung, aber letztlich die einzig richtige.
Davon bin ich überzeugt.
14 Begegnungen in 7 Jahren - das bedeutet
-
zwei Begegnungen pro Jahr seit November 1991, als wir zum ersten Mal eine
Delegation aus Kaliningrad/Königsberg, aus Ihrer ehemaligen Burgschule,
in der Musfeldstraße begrüßten.
14 Begegnungen - das bedeutet aber auch:
-
russische Gäste weilten bisher an 68 Tagen (über 2 Monate !)
in Duisburg, deutsche Gäste im Gegenzug verbrachten insgesamt 59 Tage
in Kaliningrad.
Meine Damen und Herren,
hinter diesen dürren Zahlen verbergen sich unendlich viele Details,
viele Schwierigkeiten, viele Freuden. Denken wir diese Zahlen einen Augenblick
weiter:
-
Eltern/Familien der Schülerinnen und Schüler des Mercator-Gymnasiums
haben bisher für 7703 Gast-Tage Sorge getragen;
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Im Jubiläumsjahr der Skola Nr.1:
1945-1995
|
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weilten unsere russischen Freunde wiederum in Duisburg.
Zwischen Herrn Helmut Schulz (Ehemaliger der Burgschule) und
Herrn OSt i.R. F.W.Krücken sitzt Frau Alla Schatrowa,
die Leiterin der Skola Nr.1. |
-
für unsere russischen Partner ergeben sich im Gegenzug 4596 Gast-Tage,
an denen sie sich für uns als immer aufmerksame Gastgeber erwiesen.
Gewaltige Leistungen, die unseren besonderen Dank verdienen. Ohne diese
engagierten Eltern auf beiden Seiten wäre das ganze Projekt einer
solchen Internationalen Begegnung überhaupt nicht denkbar, geschweige
denn machbar!
Sie können sich unschwer vorstellen, daß sich hinter den
genannten (stolzen) Zahlen auch erhebliche finanzielle Belastungen verbergen.
-
Ein einwöchiger Austausch - hier oder dort - verursacht (uns) fixe
Kosten (Autobus, Straßengebühren, Versicherungen etc.pp.) zwischen
8000.00 und 10 000.00 DM, die finanziert werden müssen.
Bisher hat das immer, wenn auch mühsam, geklappt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Dank aussprechen der Burgschulgemeinschaft,
die sich immer nach Kräften bemüht, hier finanziell zu helfen.
Ein ganz besonderer Dank muß aber hier gesagt werden einem großzügigen
Bürger dieser Stadt: Herr Wilhelm Fasel unterstützt seit
Anbeginn unsere Begegnungen mit sehr ansehnlichen Beträgen; die Fasel-Stiftung
ist hier und an vielen Stellen in Kaliningrad und anderswo engagiert; ohne
deren, auch für die nächsten Jahre verbindlich zugesagten großzügigen
Hilfen, wäre unser Schüleraustausch schon längst an finanzieller
Auszehrung "gestorben".
Übrigens: Die Konzerte der Kaliningrader Philharmonie
in diesen Tagen in Duisburg, Bad Godesberg und Hamburg wären ohne
Hilfe der Fasel-Stiftung nie zustande gekommen.
Aussichten:
Meine Damen und Herren,
Sie wissen, daß die Stadtgemeinschaft Königsberg und die
Stiftung Königsberg inzwischen ein Büro in Kaliningrad eingerichtet
haben, das übers Jahr fast ständig besetzt ist und vielfältige
Funktionen erfüllt. Frau Lilian Mayerhoff ist die gegenwärtige
Ansprechpartnerin dort. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird
im Frühjahr nächsten Jahres - wiederum mit Unterstützung
der Fasel-Stiftung - ein junger Student der Slawistik aus Duisburg
für längere Zeit nach Kaliningrad gehen und die Stelle von Frau
Mayerhoff übernehmen. Und dieser junge Mann ist ein ehemaliger Schüler
des Mercator-Gymnasiums, der über die Teilnahme an vielen Schüler-Austauschen
sogar seine berufliche Perspektive in Osteuropa gefunden hat. Sie werden
es vielleicht verstehen, daß ich auf diese Entwicklung ein wenig
stolz bin!
Dieser 'junge Student' , Christian S. , übersetzte
bei der 100Jahr-Feier des Mercator-Gymnasium am 11.11.2001 die Grußadresse
der Schulleiterin der Skola Nr.1 fließend und fehlerfrei ins Deutsche. |
Die erste, noch vage Idee zu diesem Projekt wurde übrigens mit
Lorenz
Grimoni auf einer (langen) gemeinsamen Reise nach Kaliningrad und zurück
im September 1996 geboren. Aber ob
Christian
nach Kaliningrad gehen wird, das hat natürlich zur Voraussetzung,
daß sich die erschreckend beunruhigende Lage heute dort wieder stabilisiert
und halbwegs normalisiert.
Meine Damen und Herren,
wie sehen die Betroffenen, die beteiligten Schülerinnen und Schüler
eigentlich eine Begegnung auf Schülerebene?
Ich habe unsere letzten russischen Gäste im März diesen Jahres,
am vorletzten Tag ihres Aufenthalts hier, gebeten, ihre persönlichen
Eindrücke einmal zu Papier zu bringen. Diese Aktion geschah völlig
unvorbereitet, spontan - ohne „Hilfe" Erwachsener.
Hier einige Äußerungen:
-
Natascha (15 Jahre): ..Es war sehr toll. Ich werde Euch sehr vermissen.
Vielleicht kann ich noch einmal zurückkommen...
-
Eugen (16 Jahre): Ich werde eines Tages sicherlich zurückkommen,
um diese Atmosphäre der Freundschaft zu genießen. Ich werde
Euch vermissen...
-
Jana (15 Jahre): ... Natürlich möchte ich noch nicht nach
Kaliningrad zurückfahren, ich werde meine neuen Freunde und „beautiful"
Duisburg sehr vermissen...
-
Heien (14 Jahre): .., die Eltern meiner deutschen Freundin waren
sehr freundlich und hilfsbereit. Ich hoffe, meine deutsche Freundin in
Rußland wiederzusehen oder vielleicht kann ich noch einmal nach Deutschland
kommen. Danke. Es war toll. Tschüss!! Und Heien fügt an: ...
Ich habe so viel gesehen, was ich bisher überhaupt nicht kannte -und
- was ich nie mehr sehen /erleben werde...
Heien ist 14 Jahre "jung" und so zweifelnd an der Situation (und
ihrer eigenen Zukunft) zu Hause! Hat Heien gefühlt, daß
irgend etwas zu Hause in der "Luft" lag? Ihre Zweifel haben seit gestern
traurige Realität erlangt: Die Grenzen zum Oblast Kaliningrad sind
geschlossen!
Meine Damen und Herren,
damit bin ich wieder bei meiner Ausgangsfrage
"Welcher Buchtitel kommt der Realität eigentlich möglichst
nahe?"
Ich meine jener Titel, der von einem "melancholischen" Land spricht. Und
die Jugendlichen - deutsche wie russische - spüren es auch sehr deutlich.
Und das sind persönliche Erfahrungen, die einerseits nachdenklich
stimmen, andererseits aber auch motivieren . und deshalb nehmen wir, auch
meine Frau und ich, die (fast unendlich) viele Arbeit auf uns:
-
Junge Menschen begegnen einander und sehen und verstehen die Welt der
Anderen besser. Das ist es. Nicht mehr, nicht weniger.
Diese Generation kann viel Verständnis füreinander entwickeln;
manchmal sind diese Erfahrungen eben auch "melancholisch" - im positiven
Sinn des Wortes: nachdenklich, zum Nachdenken zwingend.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld.
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